„Im Westen stieg der Stand des Grundwassers, im Osten ist dieser weiter gesunken”
Hohe Temperaturen, kaum Niederschläge: Der Sommer 2022 ist – mal wieder – heiß und trocken. Viele Seen und Flüsse zeigen deutlich gesunkene Pegelstände, erschreckend viele Oberflächengewässer sind vom Austrocknen bedroht. Doch was ist mit dem Grundwasser? Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) hat gerade die Sonderausgabe zur Entwicklung des Grundwassers in Niedersachsen für das Jahr 2021 veröffentlicht. Darin zeichnet sich ein uneinheitliches Bild für Niedersachsen: Trockener Osten und „fast normaler” Westen.
Frau Rickmeyer, was ist der zentrale Erkenntnisgewinn aus dem Sonderbericht für das Jahr 2021?
Bereits seit 2009 bewegen sich die Grundwasserstände auf einem durchschnittlichen bis eher niedrigen Niveau. Die Trockenjahre 2018 und 2019 haben die Situation noch deutlich verschärft. Das hat zu zum Teil extremst niedrigen Grundwasserständen geführt. In den Jahren 2020 und 2021 zeichnet sich zwar insgesamt eine Verbesserung der Situation ab, diese verläuft aber regional komplett unterschiedlich: In den westlichen und nordwestlichen Landesteilen sind die Grundwasserstände auf etwa durchschnittliche Niveaus angestiegen, während in den östlichen und südlichen Teilen Niedersachsens weiterhin zum Teil ausgesprochen angespannte Verhältnisse herrschen. Einzelne Messstellen zeigen auch weiterhin sinkende Grundwasserstände, insbesondere in den warthezeitlichen Geestregionen Ostniedersachsens, also in der Stader und Lüneburger Geest. Vereinzelt treten solche Messstellen aber auch im westlichen Niedersachsen auf.
Herr Dr. Wriedt, was glauben Sie ist der Grund dafür?
Ursache sind zum einen regionale Konstellationen wie hydrogeologische Gegebenheiten und die Witterungsverhältnisse vor Ort. In Niedersachsen haben wir ein deutliches Niederschlagsgefälle von Nordwest nach Südost mit zunehmend trockeneren Witterungsverhältnissen. In Niederungsregionen haben wir in der Regel stabilere Grundwasserverhältnisse, da hier immer Wasser „von oberhalb” zufließt. In den Geestgebieten schwanken die Grundwasserstände dagegen nicht nur saisonal, sondern auch sehr deutlich in mehrjährigen Zyklen.
In den warthezeitlichen Geestregionen Ostniedersachsens – aber nicht nur dort – befindet sich das Grundwasser oftmals viele Meter unterhalb der Geländeoberfläche und wird von gering durchlässigen Schichten überdeckt. Diese Bedingungen prägen die Grundwasserstandsdynamik nachhaltig. Grundwasserstände verändern sich in diesen Messstellen überwiegend in langjährigen Mustern und zum Teil auch mit deutlicher Verzögerung zur Witterung. In diesen Regionen konzentrieren sich auch die großen Beregnungsgebiete in Niedersachsen. Dort werden vor allem Felder mit Grundwasser bewässert.
Welchen Einfluss insgesamt in Niedersachsen gestiegene Grundwasserentnahmen zum Beispiel für die öffentliche Wasserversorgung, den erhöhten Bewässerungsbedarf beziehungsweise den weiteren Ausbau der Feldberegnung die Entwicklung der vergangenen Jahre beeinflusst haben, können wir als NLWKN nicht abschließend beurteilen.
Haben wir es hier mit einer auf den Klimawandel basierenden Entwicklung zu tun?
Dr. Gunter Wriedt: Die Auswirkungen des Klimawandels sind auch in Niedersachsen deutlich spürbar. Die Entwicklungen, die sich nicht nur als Folge der Trockenjahre 2018 und 2019, sondern bereits seit über zehn Jahren in unseren Grundwasserständen abzeichnen, sind nicht lediglich Folge zufälliger Witterungsschwankungen. Mit den in der Vergangenheit beobachteten und für die Zukunft prognostizierten Änderungen der saisonalen Verschiebungen der Niederschläge, Anstieg der Temperaturen und Änderungen der Wetterlagen sind sie auch Ausdruck einer sich infolge des Klimawandels insgesamt verändernden Wasserhaushaltsdynamik. Es liegen Untersuchungen vor, nach denen die extremen Trockenjahre 2018 und 2019 durch den Klimawandel deutlich verstärkt wurden. Auf Basis der bislang vorliegenden Klimaprojektionen und Auswertungen zur Grundwasserneubildung erwarten wir aber im Landesdurchschnitt und im langjährigen Mittel keine gravierenden Veränderungen. Konkrete Vorhersagen über die nächsten Jahre sind jedoch nicht möglich. Als Fachbehörde werden wir die Entwicklung selbstverständlich weiter beobachten.
Was bedeutet das für die Grundwasserbewirtschaftung?
Anne Rickmeyer: Für eine vorausschauende Grundwasserbewirtschaftung ist es unerlässlich, nicht nur die aktuellen klimatischen Bedingungen zu betrachten, sondern sowohl die zu erwartenden klimatischen Bedingungen inklusive der damit einhergehenden Extreme, als auch die Veränderungen der Wasserbedarfe für die verschiedenen Nutzungen angemessen zu betrachten und in Einklang zu bringen. Als einen wesentlichen Beitrag zu diesen Fragen hat das Land Niedersachsen das Wasserversorgungskonzept Niedersachsen aufgestellt und im Frühjahr 2022 veröffentlicht (MU 2022). (Wasserversorgungskonzept Niedersachsen | Nds. Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz)
Das Wasserversorgungskonzept Niedersachsen schätzt, dass der Bedarf an Grundwasser für Feldberegnung bis 2050 um 136 Prozent von 254 Millionen Kubikmeter pro Jahr (2015) auf etwa 600 Millionen Kubikmeter pro Jahr ansteigen wird. Kurzfristig bis 2030 ist eine Bedarfssteigerung von 54 Prozent zu erwarten. Für die öffentliche Wasserversorgung wird mit einer Bedarfssteigerung um neun Prozent bis 2050 von 747 Millionen Kubikmeter pro Jahr (2015) auf 815 Millionen Kubikmeter pro Jahr gerechnet. Für industrielle Entnahmen in Eigenversorgung werden keine wesentlichen Änderungen angenommen.
Wie geht die Wasserwirtschaft mit diesen Bedingungen um?
Anne Rickmeyer: Maßgeblich für wasserwirtschaftliche Planungen sind in der Regel die regional vorherrschenden durchschnittlichen klimatischen Verhältnisse. Diese werden konventionell über einen 30-Jahreszeitraum bestimmt. Speziell für die Bewirtschaftung von Grundwasserressourcen ist dies bedeutsam, da Niederschlag und Verdunstung (und damit auch die Grundwasserneubildung) natürlichen Schwankungen unterliegen. Durch Bezug auf mittlere Verhältnisse soll langfristig ein Ausgleich dieser Schwankungen sichergestellt werden. Dabei werden in Wasserrechtsverfahren je nach Art der Entnahme und der zu erwartenden Auswirkungen auch weitergehende Betrachtungen durchgeführt, um instationäre Verhältnisse oder Trockenphasen zu berücksichtigen. Die Entscheidungsbasis wird kontinuierlich an den Stand der Technik angepasst; dazu gehört zum Beispiel der verstärkte Einsatz hydrogeologischer Modelle und die Einbeziehung des Klimawandels mit dem jeweils aktuellen Erkenntnisstand.
Einen Handlungsrahmen für die Genehmigungspraxis in den unteren Wasserbehörden liefert der Grundwassermengenbewirtschaftungserlass (MU, 2020). Mengenmäßige Bewirtschaftung des Grundwassers | Nds. Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz (niedersachsen.de) Er benennt für die einzelnen Grundwasserkörper und Landkreise Richtwerte der für Entnahmen nutzbaren Reserven. Die verfügbaren Reserven werden dabei bereits auf Basis von Trockenjahren und nicht von durchschnittlichen Verhältnissen abgeleitet. Dieser seit 2015 gültige und zwischenzeitlich aktualisierte Erlass wird derzeit neu konzipiert und überarbeitet. In der zukünftigen Fassung werden neben Trockenjahren auch die aktuellen Klimaprognosen sowie die Erkenntnisse aus dem Wasserversorgungskonzept des Landes Berücksichtigung finden.
Die Auswertung der Daten bezieht sich ja ausschließlich auf das vergangene Jahr 2021. Können Sie denn daraus auch für das aktuelle Jahr und für die Zukunft Aussagen treffen?
Dr. Gunter Wriedt: Konkrete, tagesaktuelle Werte können wir leider nicht zur Verfügung stellen. Die Grundwasserstandsentwicklung folgt letztendlich der Witterungsdynamik, konkrete Vorhersagen für die Zukunft sind daher nicht möglich. Auch die in einzelnen Messstellen deutlich verzögerte Reaktion auf die Witterungsdynamik erschwert die Beurteilung der aktuellen Entwicklungen. Die aktuelle, nun über mehrere Jahre andauernde Trockenphase hat vielerorts zu extrem niedrigen Grundwasserständen geführt, die sich möglicherweise auch nur langsam regenerieren. Die bislang vorliegenden Klimaprojektionen legen jedoch auch nicht nahe, dass sich diese Situation dauerhaft als Norm etabliert. Möglicherweise pendeln wir zukünftig auch zwischen Extremen hin und her. Die Häufigkeit trockener Sommer wird jedoch zunehmen. Insgesamt wissen wir aber noch zu wenig darüber, wie Klimawandel und Witterungsverhältnisse sich insgesamt auf die Grundwasserstände in Niedersachsen auswirken. Als Fachbehörde werden wir das selbstverständlich weiter beobachten, gegebenenfalls neu bewerten und die Ergebnisse als Information und Entscheidungsgrundlage für die Wasserwirtschaft und die Politik zur Verfügung stellen.
Pressemeldung von NLWKN