Warum Bremen nicht den Wolfsgruß, sondern den Schweigefuchs verboten hat

Schweigefuchs Wolfsgruß

von Torsten Cordes

Die Bremer Bildungsbehörde hat das pädagogische Symbol des sogenannten Schweigefuchses aus Kindertagesstätten und Schulen verbannt. Dieses Verbot in einem Bundesland ist bundesweit einzigartig. Die Bremer Maßnahme wurde aufgrund des identischen Aussehens der Handzeichen des Schweigefuchses und des Wolfsgrußes, einem Symbol der rechtsextremen türkischen Graue-Wölfe-Bewegung, getroffen. Aktueller Auslöser war die Debatte um das Zeigen des Wolfsgrußes während der WM 2024.

Fragen, die dieser Artikel beantwortet:

  • Warum ist der pädagogisch gut gemeinte Schweigefuchs unfreiwillig zum Gegenstand einer Diskussion über rechtsextreme Symbolik geworden?
  • Wie unterscheidet sich die rechtliche Situation zwischen dem Wolfsgruß und dem Schweigefuchs in Bremen?
  • Warum ist ein Verbot des Wolfsgrußes so komplex?
  • Wie gehen Bremen und Niedersachsen unterschiedlich mit der Herausforderung der beiden identischen Symbole in Bildungseinrichtungen um?

Der Anlass: Ähnlichkeit des pädagogischen Schweigefuchses zum Wolfsgruß

Der Schweigefuchs, bei dem Zeige- und kleiner Finger nach oben gestreckt werden, während die übrigen Finger an den Daumen gepresst werden, ist identisch zum Wolfsgruß. Dieser wird von Anhängern der Grauen Wölfe als Erkennungszeichen verwendet.

Patricia Brandt, Sprecherin der Bremer Bildungsbehörde, erklärte in dieser Woche gegenüber Buten un Binnen: „Die rechtsextremistische Bedeutung der Geste ist mit den Grundwerten der Bremer Bildungseinrichtungen unvereinbar.“ Diese Aussage unterstreicht die klare Position der Behörde gegen jede Form von Extremismus in Bildungseinrichtungen. Die Behörde argumentiert zusätzlich, dass der Schweigefuchs pädagogisch nicht mehr zeitgemäß sei und Handsymbole häufig missverstanden oder in einen anderen Kontext gesetzt würden.

Historischer Kontext: Die Grauen Wölfe in Deutschland

Die Grauen Wölfe haben ihre historischen Wurzeln in der Türkei und sind seit den 1970er Jahren auch in Deutschland aktiv. Der Verfassungsschutz beschreibt die Grauen Wölfe als rechtsextremistische Bewegung mit einer „extrem nationalistischen bis rechtsextremistischen Ideologie“.  Sie vertreten eine Ideologie, die auf türkischem Nationalismus, Rassismus und der Idee eines „Großtürkischen Reiches“ basiert.

Der Wolfsgruß wird in der Türkei von vielen Menschen als Ausdruck von Nationalstolz verwendet, ist aber gleichzeitig aufgrund seiner Verbindung zu rechtsextremen Ideologien umstritten. Die Bedeutung des Wolfsgrußes kann je nach Kontext variieren: Während einige ihn tatsächlich als reinen Ausdruck von Nationalstolz verwenden, ist für andere die rechtsextreme Konnotation untrennbar damit verbunden.

Präsenz in Bremen und Niedersachsen

In Bremen schätzt das Landesamt für Verfassungsschutz die Zahl der aktiven Anhänger der türkisch-nationalistischen Ülkücü-Bewegung, auch bekannt als Graue Wölfe, auf etwa 400 Personen. Hans-Joachim von Wachter, ehemaliger Leiter des Bremer Landesamts für Verfassungsschutz seit 2008, warnte laut einem Bericht des Weser-Kuriers bereits 2015: „Sie gewinnen wieder an Bedeutung. Ihre Aktivitäten in der türkischen Community haben spürbar zugenommen.“

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In Niedersachsen schätzt das Landesamt für Verfassungsschutz die Zahl der aktiven Anhänger auf etwa 700 Personen, was die Ülkücü-Bewegung zur derzeit größten rechtsextremistischen Gruppierung ausländischer Herkunft im Bundesland macht. Der niedersächsische Verfassungsschutz beobachtet die Aktivitäten der Gruppe aufmerksam und warnt vor einer möglichen Zunahme ihrer Präsenz.

In beiden Bundesländern zeigt sich, dass die Grauen Wölfe versuchen, ihren Einfluss in der türkischstämmigen Community auszubauen. Die Verfassungsschutzbehörden beider Länder beobachten diese Entwicklung mit Sorge und setzen auf Aufklärung und Prävention, um der Verbreitung extremistischer Ideologien entgegenzuwirken.

Warum hat Bremen den Wolfsgruß nicht verboten?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bremer Bildungsbehörde innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs gehandelt hat, um ein Symbol zu verbieten, das identisch zum umstrittenen Wolfsgruß ist, ohne dabei die rechtlichen Komplexitäten eines Verbots der Grauen Wölfe auf Landes- oder Bundesebene angehen zu müssen.

Der Wolfsgruß selbst ist in Deutschland nicht strafbar, da die Organisation Graue Wölfe bundesweit nicht verboten ist. Ein bundesweites Verbot des Wolfsgrußes würde ein Verbot der Grauen Wölfe durch das Bundesinnenministerium voraussetzen. Solch ein Verbot würde eine Strafbarkeit mit dem Zeigen des Wolfsgrußes nach sich ziehen. Dies basiert auf § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen). Der Wolfsgruß wäre dann generell als Kennzeichen einer verbotenen Organisation untersagt, unabhängig vom Kontext seiner Verwendung.

Wie sehen die Verbotsmöglichkeiten des Wolfsgrußes im Bundesland Bremen aus?

Landesinnenminister (bzw. die obersten zuständigen Landesbehörden) können laut dem Vereinsgesetz Verbote für Vereine erlassen, die sich auf das jeweilige Bundesland beschränken. Die Bremer Innenbehörde hat in der Vergangenheit bereits Vereinsverbote ausgesprochen, wie das Beispiel der AL-Mustafa Gemeinschaft zeigt.

Ein Verbot einer lokalen Teilorganisation der Grauen Wölfe wäre möglich, wenn diese Organisation:

  1. sich ausschließlich oder hauptsächlich in Bremen betätigt,
  2. nachweislich gegen Strafgesetze verstößt oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet.

Ein solches Verbot würde dann auch den Wolfsgruß in Bremen betreffen, da nach § 9 des Vereinsgesetzes (VereinsG) die Kennzeichen eines verbotenen Vereins, einschließlich Grußformen, nicht mehr “öffentlich” verwendet werden dürfen.

Verbotsprüfung des Wolfsgrußes im Bund seit 2020

Allerdings wäre solch ein Verbot nur im Bundesland Bremen ein vorgezogener bremischer Alleingang: Der Bundestag hat bereits am 18. November 2020 die damals noch von Angela Merkel geführte Bundesregierung von CDU/CSU und SPD aufgefordert, ein bundesweites Verbot der Grauen Wölfe und ihrer Vereine zu prüfen. Diese Prüfung dauert bis heute an.

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Die Herausforderungen für einen Nachweis, der rechtlich einwandfrei zu einem Verbot führen kann, sind sehr hoch:

  • Komplexe Organisationsstruktur: Die Grauen Wölfe sind in Deutschland nicht als einheitliche Organisation präsent, sondern in mehrere Dachverbände und etwa 300 lokale Vereine gegliedert. Dies erschwert ein umfassendes Verbot erheblich.
  • Hohe rechtliche Hürden: Für ein Vereinsverbot müssen strenge Kriterien erfüllt sein. Es muss nachgewiesen werden, dass die Zwecke oder Tätigkeiten des Vereins Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten.
  • Beweislage: Viele Aktivitäten der Grauen Wölfe bewegen sich in einem Graubereich zwischen Extremismus und legaler politischer Betätigung. Der eindeutige Nachweis verfassungsfeindlicher Aktivitäten ist oft schwierig.
  • Politische Sensibilität: Ein Verbot könnte Auswirkungen auf die deutsch-türkischen Beziehungen haben und wird daher möglicherweise aus diplomatischen Gründen sorgfältig abgewogen.

Für Bremen bedeutet das:

  1. Ein solches Landesverbot wäre eine Insellösung und würde nur für Bremen und Bremerhaven gelten, aber schon direkt hinter der Landesgrenze obsolet sein.
  2. Es müssten konkrete Verstöße gegen Gesetze oder die Verfassung nachgewiesen werden, die ausschließlich den Geltungsbereich Bremen betreffen.
  3. Die Umsetzung und Kontrolle eines solchen landesweiten Verbots könnte in der Praxis schwierig sein, solange es kein bundesweites Verbot gibt..

Stattdessen hat die Behörde nun den Schweigefuchs verboten, der identisch zum Wolfsgruß ist. Das Verbot des Schweigefuchses ist eine vergleichsweise einfacher umsetzbare, lokale Maßnahme der Bremer Bildungsbehörde. Der Schweigefuchs – als identisches Symbol zum Wolfsgruß – darf somit in Schulen und Kitas in Bremen nicht mehr gezeigt werden.

Niedersachsen: Bisher kein Schweigefuchs-Verbot

In Niedersachsen und weiteren Bundesländern gibt es bislang kein offizielles Verbot des Schweigefuchses. Das Kultusministerium in Stuttgart hat bereits 2017 dazu geraten, in baden-württembergischen Klassenzimmern auf den Schweigefuchs zu verzichten.

Die unterschiedlichen Ansätze in Bremen und Niedersachsen zeigen, wie Bildungseinrichtungen auf die Herausforderung reagieren, pädagogische Praktiken von politisch aufgeladenen Symbolen zu trennen. Während Bremen ein striktes Verbot erlassen hat, setzt Niedersachsen auf Sensibilisierung. Beide Ansätze zielen darauf ab, ein inklusives und respektvolles Lernumfeld zu schaffen und gleichzeitig klare Grenzen gegenüber extremistischen Symbolen zu ziehen.

Maßnahmen im Bildungsbereich

Die Entscheidung der Bremer Bildungsbehörde, den Schweigefuchs zu verbannen, ist eine spezifische Maßnahme, die im Kontext der Bemühungen um Extremismusprävention in Bildungseinrichtungen zu sehen ist. Sowohl Bremen als auch Niedersachsen verfolgen eigene Strategien zur Prävention von Extremismus im Bildungsbereich.

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Maßnahmen in Bremen:

Maßnahmen in Niedersachsen:

Bildung im Spannungsfeld: Zwischen Symbolverboten und pädagogischer Freiheit

Die Entscheidung der Bremer Bildungsbehörde, den Schweigefuchs zu verbannen, markiert einen bedeutenden Schritt im Umgang mit potenziell problematischen Symbolen im Bildungsbereich. Sie verdeutlicht die komplexe Aufgabe, pädagogische Praktiken von politisch aufgeladenen Gesten zu trennen und unterstreicht die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Sensibilisierung für extremistische Symbolik.

Im Vergleich dazu zeigt der Ansatz in Niedersachsen die unterschiedlichen Herangehensweisen der Bundesländer. Diese Divergenz wirft Fragen zur Einheitlichkeit und Effektivität von Präventionsmaßnahmen auf Bundesebene auf.

Die Maßnahme in Bremen ist Teil einer Strategie zur Extremismusprävention, die Fortbildungen, alternative pädagogische Methoden und die Einbindung spezialisierter Kompetenzzentren umfasst. Gleichzeitig stellt sie Bildungseinrichtungen vor die Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen Wachsamkeit gegenüber extremistischen Tendenzen und der Schaffung eines inklusiven, diversen Lernumfelds zu finden.

Letztlich zeigt dieser Fall exemplarisch, wie Bildungseinrichtungen als Mikrokosmos gesellschaftlicher Entwicklungen fungieren und welche zentrale Rolle sie bei der Vermittlung demokratischer Werte und der Prävention von Extremismus spielen. Die Herausforderung besteht darin, angemessen auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren, ohne dabei die pädagogische Freiheit und Kreativität übermäßig einzuschränken.