Strafverfahren gegen Beschäftigte aus den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst ++ Schwurgerichtskammer gibt weitere Stellungnahme ab
Gemäß §§ 257b, 265 StPO hat die Schwurgerichtskammer im heutigen Termin (20.09.2022) auf der Grundlage der bislang in der Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse folgende vorläufige Einschätzungen abgeben:
I. Verfahren gegen Mitarbeiter des Klinikums Oldenburg
1. Nachweis einer Tatbegehung durch den Aktivtäter Niels Högel
Die Kammer sieht gegenwärtig, ebenso wie die Staatsanwaltschaft, durch das vorläufige Ergebnis der Beweisaufnahme Manipulationen des Niels Högel im Klinikum Oldenburg an zwei Patienten zumindest mit Kalium als belegt an. Dies soll sich insbesondere aus den gutachterlichen Darstellungen der Sachverständigen Professor Dr. von Knobelsdorf und Professor Dr. Koppert ergeben.
Hinsichtlich eines weiteren Patienten, der gemäß Anklageschrift durch die nicht indizierte Verabreichung von Amiodaron durch Niels Högel am 20.11.2001 getötet worden sein soll, kann nach dem Grundsatz in dubio pro reo aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung eine zum Tode führende Manipulation durch Niels Högel – und damit einhergehend auch eine Beihilfehandlung der Angeklagten – nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Gewissheit festgestellt werden. Aufgrund der zwischenzeitlich eingegangenen und eingeführten gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. Koppert ist davon auszugehen, dass dieser Patient während seines stationären Aufenthalts im Sankt Bonifatius Hospital in Lingen mehrfach das Medikament Amiodaron auch ärztlich verordnet erhalten hatte.
2. Vorsätzliches Handeln der Angeklagten
Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung hat weiterhin ein vorsätzliches Handeln der vier Angeklagten nicht mit einer für eine Verurteilung ausreichenden Gewissheit belegt. Auf die hierzu bereits gemachten Ausführungen wird Bezug genommen.
Zur Verurteilung der Angeklagten wegen Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen bedarf es der Feststellung, dass diese zum Zeitpunkt der einzelnen Tathandlungen des Niels Högel jeweils Vorsatz hatten. Nach der Rechtsprechung des BGH zu Tötungsdelikten ist hierfür sowohl die Feststellung eines Wissens um die Tatbegehung als auch die Feststellung eines Willenselements in jedem Einzelfall erforderlich. Hierzu bedarf es der gesonderten Prüfung jedes Einzelfalls, wobei zu klären ist, ob die innere Tatseite im Sinne des Vorsatzes durch tatsächliche Feststellungen belegt werden kann.
Aus Sicht der Kammer hat die bisherige Beweisaufnahme ein vorsätzliches Handeln der vier Angeklagten aus dem Klinikum Oldenburg nicht mit einer für eine Verurteilung ausreichenden Gewissheit belegt.
Zwar geht die Kammer davon aus, dass sich im Klinikum Oldenburg durchaus ein beträchtliches Misstrauen gegenüber dem Krankenpfleger Niels Högel entwickelt hatte, welches sich im Laufe der Zeit noch steigerte.
Allerdings belegen aus Sicht der Kammer die zu Tage getretenen Vorbehalte nicht mit der erforderlichen Gewissheit den Nachweis eines vorsätzlichen Handelns im Hinblick auf eine Beihilfe zu einem Tötungsdelikt durch Unterlassen.
Ein auch deutliches Unbehagen gegenüber dem Verhalten des Niels Högel ist für die Feststellung vorsätzlichen Verhaltens nicht ausreichend.
Erforderlich wären konkrete Feststellungen, aus denen abzuleiten wäre, dass die jeweiligen angeklagten Beschäftigten des Klinikums Oldenburg im Zeitraum des Versterbens der drei Patienten, also vom 17.11.2001 bis 26.11.2001 von den zum Tode führenden Manipulationen durch den Krankenpfleger Niels Högel gewusst oder zumindest damit gerechnet haben und auch der Tod dieser Patienten billigend in Kauf genommen worden wäre.
Hinreichend konkrete Anhaltspunkte für derartige Feststellungen hat die Beweisaufnahme aus Sicht der Kammer bislang nicht ergeben.
Vielmehr spricht insbesondere der Umstand, dass der Krankenpfleger im Dezember 2001 noch innerhalb des Klinikums selbst die Abteilung wechseln konnte, gegen die Annahme eines derartigen Vorsatzes bei den medizinischen wie arbeitsrechtlichen Vorgesetzten.
Auch eine von dem angeklagten pflegerischen Leiter der Kadiochirurgischen-Intensivstation geführten Strichliste, welche eine Verbindung zwischen Todesfällen und Niels Högel darstellen soll, ist aus Sicht der Kammer nicht geeignet, den Beleg zu erbringen, dass die Angeklagten des Klinikums Oldenburg zum Zeitpunkt der Manipulationen im November 2001 Kenntnis von Taten zum Nachteil von Patienten hatten. Denn der Zeitpunkt der Erstellung dieser Liste ist unklar. Im Hinblick darauf, dass die Liste selbst Bezug auf einen Wechsel der Abteilung durch Niels Högel nimmt, erscheint es durchaus möglich, dass diese erst nach den angeklagten Tötungsdelikten im November 2001 erstellt wurde und somit eine Kenntnis der Angeklagten im Zeitraum November 2001 nicht belegen kann.
Gleiches gilt auch für eine etwaige Kaliumkonferenz. Im Rahmen der Beweisaufnahme ließ sich weder ein konkreter Zeitpunkt derselben bestimmen, noch ergaben sich Anhaltspunkte dafür, dass es in dieser um die Person Niels Högel ging.
Die Beweisaufnahme ist aus Sicht der Kammer nunmehr auch insoweit abgeschlossen.
II. Verfahren gegen Mitarbeiter des Klinikums Delmenhorst
1. Nachweis einer Tatbegehung durch den Aktivtäter Niels Högel
Die Kammer geht nach bisherigen Kenntnisstand davon aus, dass hinsichtlich sämtlicher in der Anklage genannter Verstorbener ein manipulatives Vorgehen des gesondert verfolgten Niels Högel für deren Tod ursächlich war.
2. Vorsätzliches Handeln der Angeklagten
Auch für den Komplex Klinikum Delmenhorst kann ein vorsätzliches Handeln der drei Angeklagten nicht mit einer für eine Verurteilung ausreichenden Gewissheit festgestellt werden.
Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung hat zwar ein allgemeines, im Laufe der Zeit ansteigendes Misstrauen belegt, welches sich nach dem Sterbefall Maaß, also ab dem Nachmittag des 22.06.2005 zudem noch verdichtet hatte.
Ein auch nur bedingter Vorsatz lässt sich daraus jedoch nicht herleiten.
Aufgrund der Beweisaufnahme, insbesondere der eingehenden Vernehmung zahlreicher Mitarbeiter des Klinikums Delmenhorst, kann nicht mit hinreichender Gewissheit festgestellt werden, dass die Angeklagten den Tod ihrer Patienten als Folge tatsächlich erkannt und auf dessen Ausbleiben nicht vertraut haben.
Dabei hat die Kammer hinsichtlich der angeklagten Stellvertreterin der Stationsleitung Pflege der Intensivstation berücksichtigt, dass diese nach dem Versterben eines Patienten durch eine Pflegekraft über den Fund von leeren Gilurythmal-Ampullen informiert worden war. Diese Information mag das ohnehin bereits vorhandene Misstrauen schon zu diesem Zeitpunkt deutlich verstärkt haben. Gleichwohl lässt sich auch bei dieser Angeklagten daraus nicht ein zumindest bedingter Vorsatz im Hinblick auf ein Tötungsdelikt herleiten. Bei ihr ist bereits das voluntative Vorsatzelement nicht hinreichend belegt. Angesichts ihrer in der Krankenhaushierarchie eher niederrangigen Stellung liegt die Annahme einer Billigung von Tötungen, etwa um den Ruf der Klinik oder der Abteilung nicht zu gefährden, eher fern. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist ihr zudem durch ihren Vorgesetzten, dem gesondert verfolgten Stationsleiter Pflege der Intensivstation, klargemacht worden, dass sie sich mit derartigen Verdächtigungen zurückzuhalten habe und nicht ihre Kompetenzen überschreiten solle.
Auch die Umstände des Versterbens der letzten von Högel getöteten Patientin am 24.06.2005 sind nicht geeignet einen Vorsatz der Angeklagten aus dem Klinikum Delmenhorst zu belegen.
Die Beweisaufnahme, insbesondere die Vernehmung der Zeugin Dr. Stroh unter anderem zu einem Gespräch in der „Gyn-Schleuse” hat ergeben, dass auch nach dem Versterben des Patienten Maaß und der spätestens am Nachmittag des 24.06.2005 bekannten Ergebnisses der Untersuchung seines Blutes unter den Beteiligten weiterhin eine große Unsicherheit herrschte, ob und inwieweit eine Manipulation dieses Patienten dem Krankenpfleger Högel angelastet werden könne oder nicht.
Die Zeugin Dr. Stroh hat im Rahmen ihrer Vernehmung glaubhaft und authentisch diese auch zu diesem Zeitpunkt noch gegebene Unsicherheit dargestellt. So habe man insbesondere aufgrund urlaubsbedingter Abwesenheit verschiedener, den Patienten Maaß zuvor behandelnder Klinikärzte, nicht sicher abschätzen können, ob nicht diese ihrem Patienten das Medikament Gilurythmal medizinisch indiziert verabreicht hatten.
Auch ansonsten hat sich durch die Beweisaufnahme aus Sicht der Kammer keine hinreichenden Umstände ergeben, die mit der erforderlichen Gewissheit den Schluss auf ein auch nur bedingt vorsätzliches Verhalten der angeklagten Mitarbeiter des Klinikums Delmenhorst zulassen.
III. Fahrlässigkeitsvorwürfe
In Betracht kommende Fahrlässigkeitsvorwürfe (fahrlässige Tötung bzw. fahrlässige Körperverletzung, §§ 222, 229 StGB) wären verjährt. In diesem Falle käme allein ein Freispruch in Betracht und nicht eine Einstellung durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 09.01.1990 – 5 StR 601/89 – NJW 1990, 2073 f.).
Pressemeldung von Landgericht Oldenburg